In diesem Satz von Gottfried Benn steckt viel von dem, wie ich die Aufgabe von Journalismus und meine Rolle als Journalist sehe. Ich bin Autor und investigativer Reporter. Und Investigation bedeutet für mich: Recherche gegen Widerstände.
Ich arbeite im Ressort Investigation des Norddeutschen Rundfunks und dort auch für die ARD (Tagesschau, Tagesthemen, tagesschau.de) und im Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Wir arbeiten nicht tagesaktuell, sondern recherchieren in die Tiefe.
Ob aus einer Recherche eine Reportage oder eine Nachricht wird, ein Online-Text oder ein Hörfunk-Beitrag, ein Podcast, ein Film, eine Doku oder ein Radio-Feature: Ich arbeite multimedial, in Projekten und in Teams, über mehrere Redaktionen und Länder hinweg – und ich liebe es.
Davor war ich Senior Reporter und Stellvertretender Leiter Investigation bei Ippen Investigativ (ehemals BuzzFeed News).
Haben Sie Hinweise auf Missstände, Tipps oder Dokumente? Hier können Sie mich erreichen.
Die Bahn hat ihre selbstgesteckten Ziele für Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit weit verfehlt, schon wieder – und dennoch werden die Vorstände der Bahn rund 5 Millionen Euro an Bonuszahlungen erhalten. Nach vielen Monaten Arbeiten und zahllosen Gesprächen hielten mein Kollege Sebastian Pittelkow und ich endlich jene Dokumente in der Hand, die zeigen, warum – und wie die Bahn die Boni hochrechnet.
Wir haben zudem weitere Dokumente gesehen und Quellen gesprochen und fanden noch etwas heraus: Wie das neue Bonus-System der Bahn aussehen soll. Kundenzufriedenheit und Pünktlichkeit werden darin noch unwichtiger – und gleichzeitig sorgt eine ganz spezielle Regelung dafür, dass die Gehälter der Bahn-Chefs und tausender Führungskräfte im Konzern demnächst fast automatisch immer weiter ansteigen könnten.
Die Verbindungen zwischen Spitzen der WerteUnion und dem Veranstalter des Potsdamer Treffens sind offenbar enger als bisher bekannt. Recherchen über ein Spendendinner für den Chef der Werte-Union auf dem Schloss von Gloria von Thurn und Taxis und die Frage, warum der Organisator des Potsdamer Treffens in Sicherheitskreisen als Geldbeschaffer der rechtsextremen Szene gesehen wird.
Der Handel mit illegalem Holz ist das drittgrößte Betätigungsfeld der Organisierten Kriminalität. Die verdient dort inzwischen fast so viel, wie mit Drogen – und kann sich gleichzeitig sicher sein, dass es kaum Ermittlungen gibt. Mit meinem Kollegen Benedikt Strunz und einem internationalen Team aus 40 Redaktionen haben wir monatelang zur rumänischen Holzmafia und zum illegalen Import von Teak aus der Militärdiktatur Myanmar recherchiert.
Das Ergebnis gibt es unter anderem als vierteiligen Recherche-Podcast, als ARD-Radiofeature, in der SZ und in einer Artikel-Serie auf tagesschau.de. Für das ARD-Radiofeature sprechen Benedikt und ich hier über die Recherchen. Und hier (ab Minute 47:30) darf ich unsere Ergebnisse bei Markus Lanz vorstellen.
Als im Zuge des rbb-Skandals Vorwürfe gegen öffentlich-rechtliche Anstalten laut wurden habe ich selbst in der ARD recherchiert – und herausgefunden, wo in der ARD welche Ruhegeld-Ansprüche für leitender Mitarbeiter vereinbart wurden.
Mit Kollegen im rbb habe ich einen bis dahin geheimen Beratervertrag für den in den Ruhestand verabschiedeten Ex-Chefredakteur des Senders öffentlich gemacht. Der Sender stellte die Zahlungen wenig später ein.
Zuvor hatte ich mit Sandro Schröder rekonstruiert, wie der rbb unter Intendantin Schlesinger ein Orchester im stillgelegten ICC Berlin unterbrachte und warum das noch teuer werden könnte – sogar für weitere ARD-Anstalten und die Steuerzahler.
Er hat die wichtigste Denkfabrik der Neuen Rechten mitgegründet. Er hat dutzende Texte in rechten Medien veröffentlicht. Er wollte, dass „Demographie als Waffe“ begriffen wird, und dass die Bundeswehr sich auf die „Lösung ethnischer Konflikte“ im Inneren vorbereitet. Dann ist er aus der Öffentlichkeit verschwunden. Aiko Kempen und ich haben ihn wiedergefunden – als Professor für Sicherheitspolitik an der Hochschule der Bundespolizei.
Update: Im Februar 2023 erfuhr ich, dass der Verfassungsschutz nun Veröffentlichungen des Professors überprüft. Hier alle Infos dazu auf tagesschau.de
Monatelang hatten wir bei Ippen Investigativ zu Julian Reichelt recherchiert. Dann wollte unser damaliger Verleger Dirk Ippen unsere Veröffentlichung stoppen. Vor allem für meine Kollegin Juliane Löffler, die sich in harter Arbeit das Vertrauen vieler Quellen erarbeitet hatte, aber auch für uns alle ein Schlag – und ein Schritt, der unsere journalistische Integrität in Frage stellte. Wir haben unsere Ergebnisse trotzdem veröffentlicht: Im Spiegel. Für die Recherche und den Umgang mit der Einflussnahme unseres Verlegers erhielten wir später u.a. den Nannen-Preis, der 2021 in Stern-Preis umbenannt wurde: "Sie riskierten lieber ihre Jobs, als die Pressefreiheit", so Annette Ramelsberger damals in der Laudatio.
Mit Kollegen von CORRECTIV und WELT habe ich über bislang unbekannte Dokumente berichtet, die zeigen, wo deutsche Firmen im Ausland bestechen, wie selten sie dafür bestraft werden und warum deutsche Ermittler fast immer kapitulieren müssen.
OneCoin konnte Milliarden stehlen, obwohl Banken die Behörden informiert hatten. 60.000 Deutsche haben an OneCoin geglaubt. Weltweit waren es Millionen. Ihr Geld ist weg. Nach sechs Jahren Ermittlungen begann 2021 vor dem Landgericht Münster ein spektakulärer Prozess. Er soll auch eine Frage klären: Ob sich hinter OneCoin womöglich ein weltweiter, milliardenschwerer Betrug verbirgt, der in Deutschland seinen Anfang nahm.
Bei den FinCEN-Files handelte es sich um tausende geheimer Verdachtsmeldungen der US-Finanzaufsicht. Mehr als 400 Journalist*innen haben über ein Jahr daran gearbeitet. Beim deutschen Arm von BuzzFeed News habe ich das Projekt geleitet – und unter anderem zur Commerzbank recherchiert. Korruption, Schwarzgeld, Steuerhinterziehung: Die FinCEN-Files zeigten, wie Banken an kriminellen Kunden mitverdienen.
Folter, Massenvergewaltigungen, Mord: In einem auch mit deutschen Steuermitteln geförderten WWF-Projekt im Kongo soll es zu schwersten Menschenrechtsverbrechen gekommen sein. Dokumente, die BuzzFeed News vorliegen, zeigten: Der WWF weiß seit Jahren davon. BuzzFeed News hat zwölf Monate lang in sechs Ländern recherchiert und dabei mehr als 100 Interviews geführt. Und weil die deutsche Förderbank KfW sich weigerte, Unterlagen zu veröffentlichen, haben wir sie nach dem IFG verklagt. Untersuchungen des WWF bestätigten später die Vorwürfe, die Naturschutzorganisation sicherte Aufklärung und Besserungen zu.
K.O.-Tropfen sind in Deutschland nicht verboten, obwohl es hunderte Opfer gibt. Amtliche Statistiken zu GBL und GHB taugen wenig – und so haben die Behörden keine Ahnung, wie viele Menschen damit bewusstlos gemacht oder sogar vergewaltigt werden. Also habe ich mich mit meiner Kollegin Pascale Müller auf die Suche gemacht. Wir wollten wissen: Wie groß ist das Problem wirklich? Unsere Auswertung zeigt: Es gibt keine einheitliche Erfassung, keine Vergleichbarkeit, keine Statistik, und damit auch: keine Klarheit über die Größe des Problems und kein Problembewusstsein.
2018 habe ich ausführlich zur deutschen und europäischen Migrationspolitik recherchiert. So habe ich einen geleakten Bericht veröffentlicht, der zeigte: Die EU vertraut der libyschen Küstenwache nicht. Ebenso eine bis dahin geheime Antwort der Bundesregierung, die bestätigte: Deutschland ist über illegale Haftanstalten in Libyen informiert. Und einen internen Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der bewies: Deutschland und die EU sind über massive Menschenrechtsverstöße in Libyen informiert. Nachdem die EU die libysche Küstenwache zu ihrem Partner machte, recherchierte ich deren Nummern für Seenotfälle – und rief dort einfach mal an. Das Ergebnis: Über Tage hinweg war die lybische Küstenwache schlicht nicht erreichbar.
Tausende Menschen auf engem Raum, schlechte hygienische Bedingungen, Traumata und mangelnde soziale Versorgung: Die EU-Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln sind seit Jahren in der Kritik. In mindestens einem solchen Hotspot verteilen Behörden und Hilfsorganisationen Psychopharmaka an Flüchtlinge - ohne angemessene therapeutische Begleitung. Schnell kommt es zum Missbrauch: Für das Präparat "Lyrica" entsteht ein Schwarzmarkt, es gibt Dealer und Flüchtlinge, die befürchten, abhängig zu sein, zeigte unsere Recherche vor Ort.
Die Polizei erfasst hunderte Millionen Kennzeichen deutscher Autofahrer, obwohl die dafür benutzte „automatische Kennzeichenerfassung“ extrem fehlerhaft ist. Ursprünglich sollte damit organisierte und schwere Kriminalität bekämpft werden. Ich habe recherchiert, ob die Hoffnung aufgeht – mit einem ernüchternden Ergebnis: die Kennzeichenerfassung der Polizei funktioniert nicht. Demnach liefert die Überwachungs-Technologie regelmäßig Fehlerquoten von weit über 90 Prozent, obwohl sie schon mehr als zehn Jahre lang im Einsatz ist. Gleichzeitig lassen sich die schweren Verbrechen, für die die Kennzeichenerfassung einst eingeführt worden war, damit offenbar gar nicht ermitteln: Bei den wenigen „Echttreffern“ kommen fast nur vergleichsweise harmlose Delikte wie eine fehlende Versicherung zum Vorschein.
Ein VW-Autohaus in Slowenien? Eine Firma, die Pappaufsteller verkauft? Eine Polizeischule? Reifenhändler Fahrradläden? All das gehört der Deutschen Bahn. Gleichzeitig ist sie so hoch verschuldet, wie noch nie. Die Bahn hält tausende Beteiligungen im In- und Ausland, bezahlt mit deutschen Steuermitteln. Nicht immer haben sie etwas mit dem Geschäft der Bahn zu tun. Ich habe versucht, mich durch das undurchschaubare Geflecht zu wühlen.
Seine Schädeldecke wurde durchschlagen, die Vorderwand der Stirnhöhle, sogar die Hinterwand. In den Berichten wird später nicht nur von einem offenen Schädel-Hirn-Trauma die Rede sein, sondern auch von einem Bluterguß am Hinterkopf. So enorm war der Druck, der mit dem Schlag auf das Gehirn ausgeübt wurde. 2009 besucht Johannes das Schanzenfest in Hamburg. Wenig später liegt er mit offenem Schädelbruch auf der Straße. Er sagt, das war die Polizei – und muss sich darum seit zehn Jahren mit der Justiz auseinandersetzen.
Ich war erst einige Tage bei BuzzFeed News, da wurde es direkt ernst: G20 in Hamburg. Weltweit berichteten Medien, fast 500 Polizistinnen und Polizisten seien während der Proteste verletzt worden. Ich wollte es genauer wissen und recherchierte die Verletzten-Statistiken in jedem Bundesland nach. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Verletzungen meldeten die Polizisten schon bevor der Gipfel überhaupt losging. Zudem waren etliche Verletzungen gar nicht auf die Proteste zurückzuführen.
Als ich über das bislang unentdeckte Video von Alexander Gauland, Spitzenkandidat der AfD, stolpere, wird mir erst beim zweiten Hören klar, was Gauland vor Anhängern da sagt. Dass die Deutschen keine Verantwortung mehr für die Verbrechen deutscher Soldaten übernehmen müssten. Und das sie stattdessen das Recht hätten, stolz zu sein – „auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist mein Handy voller Benachrichtigungen. Israel, USA, UK – weltweit hatte der Text Aufmerksamkeit bekommen .
An Universäten, Journalistenschulen und Fortbildungseinrichtungen spreche ich unter anderem zu Recherche und Recherchetechniken, journalistischen Podcasts und kritischen Interviews. Ich begleite und berate Produktionen im Hinblick auf Dramaturgie, Storytelling und Erzähltechniken, Formatentwicklungen und Recherche und bringe dort auch meine Erfahrung als Produzent, Autor und Host für Spotify mit ein. Und hin und wieder lasse ich mich auch zu einem Kommentar hinreissen.
01.07.2023 – Deutschlandfunk: Kommentar zur Frage, ob Ostdeutschen die Demokratie egal ist
04.11.2021 – Frankfurter Rundschau: Interview zur nicht veröffentlichten Recherche über Julian Reichelt
08.01.2021 – Deutschlandfunk Kultur: Rückblick und Ausblick auf das Podcast-Jahr
24.09.2020 – Deutsche Welle: TV-Talkshow „Auf den Punkt - Der internationale Talk aus Berlin“ zu den FinCEN-Files-Recherchen
06.01.2020 – Deutschlandfunk: Debatte über Kommunikation der Polizei in sozialen Netzwerken
29.07.2019 – Deutschlandfunk: Diskussion über das Dunkelfeld im Bereich unrechtmäßiger Polizeigewalt
seit 2018 – Workshop „Zwischen Demos und Polizeiberichten - Wie berichtet man unabhängig und kritisch über die Polizei?“ für Netzwerk Recherche